Unternehmensverkauf und der Endowment Effekt

Jeder, der schon mal mit M&A-Prozessen zu tun hatte, wurde auch mit dem Endowment-Effekt (nach R.H.Thaler) konfrontiert, ohne genau zu wissen was es ist.

Die Wissenschaft – genauer: die Psychologie – beschreibt diesen Effekt wie folgt:
Ein Besitztumseffekt, der einen größeren Nutzenverlust bei Aufgabe eines geschätztes Gutes hat im Vergleich zum Nutzengewinn, der mit dem Erhalt des gleichen Gutes verbunden ist. Soll heißen: Was ich einmal habe, gebe ich nur ungern wieder her, weil der wahrgenommene Wert eines Gutes höher ist, wenn man ihn besitzt.

Und was hat das mit M&A zu tun? Ein Unternehmer, der seinen Betrieb an einen Dritten veräußern will, misst diesem einen gefühlten, und damit überzogenen Wert, bei.

Und, kurios genug, er würde ein vergleichbares Unternehmen (gleiche Branche, gleicher Umsatz, gleiches Ergebnis) für weit weniger kaufen, als seines verkaufen.

All dies ist in Studien, natürlich nicht mit Unternehmen, sondern mit alltäglichen Gegenständen, ausführlich und belastbar untersucht worden.

Die Zunft der M&A-Berater kennt die Diskussion, wenn ein gestandener Unternehmer, der täglich mit Kursen und Werten umgeht und den Preis seines Autos genauso kennt und anwendet wie die Immobilienpreise in seiner Region, bei der Diskussion um den Wert seines Unternehmens so gnadenlos daneben liegen kann. Zum Verständnis sei auch hier wieder die Psychologie bemüht: Wert = Mass der Begehrlichkeit. Und diese ist bedauerlicherweise für den Käufer eine andere als für den Verkäufer, da der Käufer sich nur von einem finanztechnisch ermittelten Wert leiten lässt. Das äußert sich wiederrum in der sehr einfachen Formel WTA = WTP*, nur dann kommt die Transaktion zustande. Sind diese beiden Werte unterschiedlich, kann der Unternehmer seine Nachfolgeregelung nicht umsetzen. Der seriöse Käufer dagegen hat andere Optionen.

Häufig genug kommt es gar nicht zu einem Erstgespräch zwischen Kaufinteressent und Unternehmer, weil schon in dem Angebot, meist eine Anzeige im Internet oder Printmedien, die Größen „Kaufpreis KP“  und „Umsatz U“ nicht zueinander passen (KP > U), und der Käufer eine weitere Beschäftigung mit dem Angebot ablehnt, weil er schon fühlt, dass da was nicht stimmen kann. Das ist eine vergebene Chance, weil möglicherweise der Kaufinteressent sehr gut in das angebotene Unternehmen passt. Es macht wenig Sinn als Verkäufer, diese zwei Kennziffern nicht zu nennen. Sie kommen sowieso auf den Tisch und je später, desto ärgerlicher, wenn sie ein KO-Kriterium darstellen.

Der erfahrene M&A-Berater erlebt bei der Diskussion mit dem Verkäufer und dem Versuch, ihn mit der Kaufpreis-Realität zu konfrontieren fast immer eine stereotype Situation: „Sie glauben gar nicht, was man aus diesem Unternehmen alles machen kann“. Leider fehlt es bei Nachfragen meist an einem Konzept. Sollte es doch vorhanden sein oder wenigstens ein paar Ideen, dann drängt sich die Frage auf, warum der Verkäufer-Unternehmer es nicht schon lange umgesetzt hat. Auf Seiten des Käufers sieht man dann eine sich kräuselnde Stirn, weil er darüber nachdenkt, warum er für seine Leistung auch noch bezahlen soll. Am Ende des Denkprozesses steht dann WTP ≠ WTA, der Kauf kommt nicht zustande.

Wohlgemerkt, die erlebte Praxis bestätigt diesen Besitztumseffekt und zwar mit Abweichungen zwischen einem seriös ermittelten Kaufpreis und der Vorstellung des verkaufenden Unternehmers in Bereichen von 100, 200 und in der Spitze über 800 %!

Es gibt zum Ausgleich auch Unternehmer, die wissen und erkennen, dass Sie zwar Fachmann in ihrem Unternehmen sind,  jedoch die anspruchsvolle Aufgabe der Nachfolgeregelung nicht beherrschen und  sie deshalb einem erfahrenen Profi aus dieser Fakultät überlassen. Der führt systematisch von A-Z durch den Prozess.

*WTA : willing to accept, WTP: willing to pay

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